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© Rene Rietmeyer / GAA / ECC

Heisse Tage auf Teneriffa

ARNULF RAINER

Wer Kunst sammelt, will originale Werke. Eine Fälschung in der Sammlung ist peinlich, mehr noch, eine Katastrophe. Der Sammler verliert nicht nur Geld, sondern auch seinen guten Ruf.
Von einer Kunstfälschung spricht man, wenn ein Kunstwerk nachgebildet wird – und wenn dies in betrügerischer Absicht geschieht.
Aber was ist, wenn ein Künstler (aus welchen Gründen immer) oder sein familiäres Umfeld, behauptet, ein tatsächlich von ihm geschaffenes Werk sei eine Fälschung? Was ist, wenn ein Künstleratelier behauptet, eine ganze Werkserie sei nicht von ihm geschaffen worden? Was ist, wenn es bei dieser Behauptung bleibt, obwohl es für die Urheberschaft des Künstlers unzählige fotografische, filmische und persönliche Beweise gibt?
Genau darum geht es in diesem Buch.

BRIGITTE LÖW-RADESCHNIG

© Kronen Zeitung / Peter Grotter
Die Sammlerin Dr. Brigitte Löw-Radeschnig im Palais Kinsky vor ihren Rainer-Bildern

Mehr | Vorwort und Nachwort zum Buch

Vorwort

Ich war noch sehr jung, als ich in der Tanzschule meinen Mann, einen Halb- italiener, kennenlernte. Italien gehörte von Anfang an zu unserer Beziehung. Wann immer wir Zeit fanden, machten wir uns auf den Weg und erlebten herrliche Wochen und Monate in diesem wunderbaren Land.
Damals kamen in Italien gerade Kulturveranstaltungen auf, die von den Kommunen organisiert und gefördert wurden. Die ortsansässigen Künstler präsentierten ihre Bilder; und ich kaufte, was mich ansprach und anregte. Diese Bilder wurden Teil meines Lebens. Dass ich mit den Künstlern über ihre Arbeiten sprechen konnte, spielte dabei eine wichtige Rolle. Schon bald sah ich mehr, verstand ich mehr.
Nach der Beendigung meines Jus-Studiums in Salzburg übersiedelten mein Mann und ich nach Wien. In Umbrien kauften wir eine Casa Colonica, ein Bauernhaus, das liebevoll restauriert wurde. Nun hatte ich viele neue Wände für meine Bilder. Bald bevölkerten sie auch meine Büros in Wien und Niederösterreich, meine Stadtwohnung und mein Gartenhaus an der Alten Donau. Kunst gehörte unwiderruflich zu meinem Leben.
1996 kaufte ich in der Nähe von Cortona in der Toskana zum ersten Mal eine Arbeit in einer Galerie. Meine Wahl fiel auf das Werk eines amerikanischen Künstlers, Mark Kostabi. Dieses Bild begleitet mich bis heute. In den 2000er Jahren besuchte ich regelmäßig Kunstmessen, unter anderem in Köln, Peking, Neu-Delhi und Chicago, und als in Wien erstmalig die vienna-contemporary stattfand, kaufte ich Bilder von Otto Muehl, Hermann Nitsch, Herbert Brandl und Hubert Scheibl; großformatige Werke, die meine neue Wohnung zum Leben erweckten. Von da an konzentrierte ich mich auf zeitgenössische österreichische Kunst, war aber „Ausflügen“ nie abgeneigt.
So kamen Werke von Tony Cragg und Jörg Immendorff in meine Sammlung.
Aufgrund meiner beruflichen Expertise als Unternehmerin und Juristin konnte ich österreichische Galerien immer wieder mit meinem Know-how und mit Finanzierungen unterstützen. Über die Galerien kam ich in Kontakt zu vielen Künstlerinnen und Künstlern. Ich will mir gar nicht vorstellen, was ich an Schönheit, Vielfalt und neuen Sichtweisen verpasst hätte, wäre ich in meinem Metier geblieben!
Ich lernte Xenia Hausner kennen. Ich habe einige Arbeiten von ihr, teils sogar mit persönlichen Widmungen. Ein Abendessen mit Gunter Damisch ist mir in schöner Erinnerung. Ich habe eine wunderbare große Arbeit – einen Sternenhimmel – von ihm gekauft. Das Bild hängt nach wie vor über meiner Badewanne. Bei diesen Begegnungen lernte ich die unterschiedlichen Arbeitsweisen von Künstlerinnen und Künstlern kennen, ihre Denkweisen, ihre Überzeugungen, das, was sie antreibt.
Arnulf Rainer habe ich leider nie kennengelernt. Ich habe mich zwei Jahre lang darum bemüht. Ich wollte, dass Rainer sich die Bilder, die ich gekauft hatte, ansieht. Seine Lebensgefährtin hat es vereitelt. Ich wollte dem Atelier Rainer auch die Unterlagen, die ich mit dem Konvolut erworben hatte – Filme, Audiodateien, Fotos –, übergeben, in der Überzeugung, dass sie wichtig für die Dokumentation seiner Arbeit seien. Aber auch daran hatte man kein Interesse. Schließlich gewann ich den Eindruck, dass diese Materialien (die, ganz nebenbei, die Authentizität meiner Rainer-Sammlung beweisen) nicht als unverzichtbare Belege für seine Arbeit gesehen wurden, sondern als innerfamiliäre Demütigung.

Das kann ich sogar verstehen – als Frau! Als Sammlerin, der der Künstler am Herzen liegt, kann ich es aber nicht akzeptieren! Frau Hannelore Ditz, die Lebensgefährtin von Arnulf Rainer, beharrt darauf, dass mein Konvolut entweder „gefälscht oder unrechtmäßig erworben“ sein müsse, obwohl es eine bekannte Tatsache ist, dass Rietmeyer und das ECC bzw. die damalige GAA für die jahrelange Arbeit für Arnulf Rainer nicht mit Geld, sondern mit Arbeiten, die in diesen Jahren entstanden sind, bezahlt wurden. Seltsamerweise hat es das Atelier Rainer bis heute unterlassen, Rene Rietmeyer zu verklagen, der doch – aus Sicht des Ateliers Rainer – der Fälscher oder derjenige, der die Bilder unterschlagen hat, gewesen sein muss, denn von ihm habe ich die Bilder erworben. Letztlich blieb mir keine andere Wahl, als mich ans Gericht zu wenden, um mich von dem Verdacht, eine Hehlerin zu sein, zu befreien. Ein Urteil steht noch aus. Dabei ist mir klar, dass das Gericht der falsche Ort ist, um die Echtheit von Kunstwerken zu beweisen. Der einzige Ort, wo ein gültiges Urteil darüber gesprochen wird, ist der Kunstmarkt.
Ein Werk, das ich kaufe, muss mich ansprechen, es muss mir gefallen, es muss etwas in mir auslösen. Es mag schon sein, dass meine Herangehensweise naiv ist, allzu emotionsgesteuert. Aber das ist mein Zugang. Ich muss das Kribbeln im Bauch spüren, das sich zu einem beständig lodernden Feuer ausbreitet. Immerhin weiß ich inzwischen, dass meine Begeisterung, brenne ich erst einmal lichterloh, nicht mehr verlöschen wird.
Als mir ein Galerist Arbeiten von Arnulf Rainer, die zwischen 2010 und 2014 auf Teneriffa entstanden waren, empfahl, war ich angesichts der Intensität und Ausstrahlungskraft der Bilder überwältigt. Da setzt bei mir dann regelmäßig ein Prozess ein, der immer auf das Gleiche hinausläuft: Ich muss diese Bilder haben!
Erst viel später habe ich etwas über den Entstehungsprozess erfahren, über die Arbeitsweise des Künstlers, über den Fotografen Rene Rietmeyer und die Modelle Karlyn De Jongh und Sarah Gold. Davor zählte einzig und allein, dass mich diese Bilder vom ersten Augenblick an berührt, ergriffen, ja, erschüttert hatten; jetzt konnte ich mich ihnen auch intellektuell annähern.
Für mich war die Unterstellung, Fälschungen oder Diebesgut erworben zu haben, eine völlig neue Erfahrung. Bis dahin bin ich von Künstlerinnen und Künstlern, Galeristinnen und Galeristen stets sehr korrekt behandelt worden. Das ist ja auch sinnvoll: Der Markt lebt von Verrückten wie mir; von Menschen, die für die Kunst brennen und die für ein Kunstwerk, das sie begehren, Haus und Hof verkaufen würden.
Mittlerweile habe ich aber auch die Kehrseite des Kunstmarkts kennengelernt: Künstler, die die Autorschaft von Werken bestreiten und erst einlenken, wenn man sie ihnen nachweist. Galeristinnen, die die Verkaufs-Anteile von Künstlerinnen nicht auszahlen. Künstler, die hinter dem Rücken ihrer Galeristinnen verkaufen.
Ja, auch der Kunstmarkt ist von Menschen bevölkert. Die meisten sind (abgesehen von ihrer Kreativität, ihrer Fantasie, ihrem Mut) absolut integer. Aber einigen sind der Erfolg und die damit verbundene Macht zu Kopf gestiegen. Ihre Handlungen, von Eifersucht, Neid und Gier bestimmt, sind beschämend. Sie ignorieren, dass das, was sie da anzetteln, im Vertrauensverlust der Sammler in den Markt münden – und damit auch zum Schaden für sie selbst werden – könnte.
Aber wie auch immer die Auseinandersetzung um die Teneriffa-Bilder von Arnulf Rainer ausgeht: Die Kunst wird siegen, davon bin ich überzeugt!

BRIGITTE LÖW-RADESCHNIG

Nachwort

Sammlerin in Not

Das vor Ihnen liegende Buch hat eine durchaus kuriose Entstehungsgeschichte. Und nicht minder seltsam ist es, wenn ein Rechtsanwalt ein kleines Nachwort zu einem Kunstbuch beisteuert. Beides will in wenigen Worten erklärt werden:

Zunächst scheint die Sache ganz einfach und für uns alle verständlich zu sein. „Urheber eines Werkes ist, wer es geschaffen hat“, sagt uns § 10 des österreichischen Urheberrechtsgesetzes. Und nichts anderes meint der § 7 des deutschen Urheberrechtsgesetzes, wenn er noch kürzer sagt: „Urheber ist der Schöpfer des Werkes“. Wer aber gibt uns Auskunft darüber, von wem ein Kunstwerk geschaffen wurde, wer dessen Schöpfer ist?

Nun müssen wir nicht dem ideologischen Bild des „immer einsamen Künstlers“ verfallen und alle Künstlerinnen und Künstler als unentwegt isoliert und getrennt von allen sozialen Beziehungen Schaffende imaginieren – aber es ist dennoch so, dass uns verlässlich Auskunft darüber, wer nun der Schöpfer eines Werkes sei, meist nur die Schöpfenden selbst geben können. Deshalb sind, gerade bei Werken der bildenden Kunst, die Signaturen so wichtig: Zwar geben sie uns keinen Beweis über die Urheberschaft (denn es können eben, wie wir leidvoll wissen, auch Unterschriften gefälscht werden), aber sie sind doch ein weitreichendes Indiz, um bestimmte Werke ganz bestimmten Kunstschaffenden vorläufig zuordnen zu können. Anders gesagt: Dort, wo draufsteht, wer’s gemacht hat, bietet sich der Expertise zunächst schon ein gewichtiger Anhaltspunkt. Freilich lässt sich die Sache auch von der anderen Seite her betrachten: Ist ein Werk nicht signiert und lehnt die Künstlerin oder der Künstler (oder deren Anwalt, wie hier) „die Autorisierung“ von Kunstwerken ab, so stellt dies zunächst einen Anhaltspunkt dafür dar, dass ein bestimmte Werk nicht von diesem Künstler ist – einen tatsächlichen Beweis dafür, wie es wirklich gewesen ist, gibt diese Selbsteinschätzung aber nicht, wissen wir doch (aus ebenso leidvoller Erfahrung), dass manche Künstlerinnen und Künstler mit der Authentifizierung ihrer Werke von Fall zu Fall durchaus kapriziös umgehen können …

So weit, so einfach.

Ob nun also eine Künstlerin oder ein Künstler ein Werk geschaffen hat oder nicht, das ist freilich zunächst keine Frage der juristischen Beurteilung – das ist vielmehr eine Frage nach den Tatsachen, das ist eine Frage nach der Realität. Natürlich dürfte, wer ein Bild gemacht hat, leugnen, das Bild gemalt zu haben – das aber darf er nach unserem natürlichen Rechtsverständnis und auch nach unserer Rechtsordnung nur dann und nur so lange, als er dadurch niemand anderem einen Schaden zufügt. Sind die Bilder, die der Künstler tatsächlich gemacht hat, nach wie vor in seinem Atelier, so darf der Künstler diese Bilder nicht nur vernichten, er darf auch abstreiten, sie je gemacht zu haben – er schadet damit ja niemandem. Sobald diese Bilder aber in Verkehr kommen, wenn sie getauscht, verkauft, ausgestellt, vervielfältigt etc. werden, dann ist sofort Schluss mit der wahrheitswidrigen Ableugnung der Urheberschaft: Ein Künstler, der ein Werk geschaffen hat, darf über dieses Werk nicht wahrheitswidrig sagen, er habe es nicht geschaffen. Und genau darum geht es in der Sache, die auch den Anlass für dieses Buch gegeben hat. Denn hier haben wir den wohl ganz einmaligen Fall, dass die Lebensgefährtin des Künstlers abstreitet, dass Arnulf Rainer die in diesem Buch abgebildeten Werke geschaffen hat – und soweit sich auf diesen Bildern Signaturen von Arnulf Rainer befänden, seien diese gefälscht, und wenn die Bilder nicht gefälscht und auch die Signaturen echt seien, so wären die Bilder doch gestohlen worden. Das ist, wie man so schön sagt, starker Tobak – zumal gegenüber einer Sammlerin, die diese Bilder vertrauensvoll am Kunstmarkt erworben, selbst recherchiert und Erkundigungen eingezogen hatte und die überdies mit den auf den Bildern sichtbaren Models persönlichen Kontakt aufnahm, um sich die Authentizität der Werke bezeugen zu lassen: Die Models waren ja unmittelbar beim Akt des Schaffens auf Teneriffa anwesend und haben nicht nur gegenüber der Sammlerin, sondern auch vor Gericht bestätigt, dass die hier gezeigten Bilder von Arnulf Rainer in ihrer Anwesenheit geschaffen wurden! Pikanterie am Rande: Was Arnulf Rainer zu all dem sagt, das wissen wir nicht, denn vor Gericht konnte er altersbedingt nicht erscheinen.

Hannelore Ditz, domina litis in dieser Sache, hat vor einem Wiener Gericht eingestanden, dass sie gar nicht wissen könne, welche Bilder Arnulf Rainer auf Teneriffa gemalt habe, sie wäre ja nicht dabei gewesen. Sie könne noch nicht einmal sagen, wie viele Bilder überhaupt entstanden wären, auch das sagte sie vor Gericht aus. Dennoch verbreitete sie gegen die Sammlerin die Fama, diese hätte „gefälschte“ Bilder in Umlauf gebracht und sie hätte sich diese Bilder in dubioser Weise angeeignet. Diese Vorwürfe gegen die Sammlerin wurden unter anderem in einer Anzeige gegenüber der Staatsanwaltschaft Wien erhoben, die dann prompt Bilder in einem Auktionshaus beschlagnahmen ließ – und diese Bilder dann fast ebenso prompt wieder freigab, als sich herausstellte, dass an den Vorwürfen nichts strafrechtlich Relevantes zu finden war. Für all diese Vorwürfe gegen die Sammlerin gibt es zwar keinerlei stichhaltige Anhaltspunkte – aber der Kunstmarkt orientiert sich ja, ähnlich wie die Politik, nicht entlang von Tatsachen, sondern er reagiert auf die Gefühlsbewegungen der wichtigen und sich wichtig fühlenden Akteure und auf öffentliche Zuschreibungen. Deshalb sind die gegen die Sammlerin gerichteten Vorwürfe – die ja nicht von irgendeinem Sudelblatt kommen, sondern aus dem unmittelbaren persönlichen Umfeld von Arnulf Rainer – so gravierend und auch derart belastend, dass der Sammlerin letztlich nur der Weg zum Rechtsanwalt blieb.

Drücken wir es drastisch und mit der für unseren Zweck wohl erlaubten Zuspitzung aus: Dieses Buch ist eine Notwehrhandlung. Die Veröffentlichung dieses Buches ist notwendig und gerechtfertigt. Nur dadurch kann der gegenwärtige rechtswidrige Angriff auf die persönliche und kunstmarktbezogene Integrität der Sammlerin unmittelbar und direkt vor dem Publikum und dem Kunstmarkt abgewehrt werden.

Seit jeher wiegt der Vorwurf der Kunstfälschung schwer. Nicht erst seit der Verurteilung von Wolfgang Beltracchi. Wer fälschlich mit diesem Vorwurf konfrontiert ist, muss sich dagegen zur Wehr setzen. Deshalb wurde bei Gericht Klage eingebracht. Das ist aber nur die eine Seite des unbedingt Notwendigen, denn unsere Gerichte arbeiten langsam. Seit Jonathan Swift aber wissen wir: „A lie can travel halfway around the world while the truth is still putting on its shoes.“ Es muss also alles darum gehen, das Publikum ohne unnötigen Aufschub darüber aufzuklären, „was wirklich geschah“ – und das vorliegende Buch gibt allen, die es interessiert zur Hand nehmen, genau darüber in wünschenswerter Weise Auskunft: Es legt in Wort und Bild Zeugnis ab. Und jetzt kann sich jede und jeder selbst ein Bild machen – indem sie und er die von Arnulf Rainer geschaffenen Bilder und die dazu gemachten Aussagen gemeinsam in Augenschein nehmen.

ALFRED J. NOLL

© Brigitte Löw-Radeschnig
Der Künstler Otto Piene bei der Rainer-Ausstellung während der Biennale von Venedig 2013

© Rene Rietmeyer / GAA / ECC

© Brigitte Löw-Radeschnig
Sarah Gold, Valeria, zwei der involvierten Modelle

© Brigitte Löw-Radeschnig
Der Künstler Otto Piene bei der Rainer-Ausstellung während der Biennale von Venedig 2013

© Rene Rietmeyer / GAA / ECC

© Brigitte Löw-Radeschnig
Sarah Gold, Valeria, zwei der involvierten Modelle

Studiotalk: Ist Kunstsammeln Leidenschaft und/ oder Investment?

Dr. Brigitte Löw-Radeschnig zu Gast im Studio | Wirtschaft.inside, W24

14.03.2024

Wa(h)re Kunst ORF 3: Die Liebe zu Kunst – Brigitte Löw

16. Dezember 2023 | 08:35 Uhr

LIVESTREAM aus der
Österreichischen Nationalbibliothek

20. September 2022 | 17:00 Uhr

© Fotos: Rene Rietmeyer / GAA / ECC

Termine

Buchpräsentation

16.12.2022 | Galerie Reinisch Graz

Eröffnung am Freitag, dem
16. Dezember 2022 um 19:00 Uhr
Galerie Reinisch, Hauptplatz 6, Graz

Das Arnulf Rainer-Modell Sarah Gold wird zur Eröffnung
von Schauspieler Philipp Hochmair interviewt.
Zur Ausstellung erscheint eine Publikation.

Nur für angemeldete Gäste.
Anmeldung unter +4369912381422 oder hr@reinisch-graz.com

Ausstellung: bis 16. Jänner 2023

24.11.2022 | Galerie am Lindenplatz Vaduz

© Tatjana Schnalzger

21.11.2022 | Galerie Amart Wien

20.11.2022 |  Galerie Maringer St. Pölten

17.11.2022 | Galerie Mauroner Salzburg

7.11.2022 | Galerie Halle Linz

Streamings

Aus echt mach falsch: Pressekonferenz und Expertendiskussion

ImKinsky fand am 18.03.2021 eine Pressekonferenz und Expertengespräch statt. Dabei ging es um den Fall der vermeintlichen Fälschungen von Arbeiten Arnulf Rainers, die 2019 imKinsky beschlagnahmt worden waren.

Vor kurzem wurde das entsprechende Strafermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt – damit gibt es keinen Grund zur Annahme, dass es sich bei den Arbeiten um Fälschungen handelt.

Betroffen von dem Verdacht war ein ganzes Konvolut an Arbeiten, das Sammlerin Brigitte Löw-Radeschnig 2017 von René Rietmeyer gekauft hatte. Dieser hatte die Arbeiten wiederum von Arnulf Rainer selbst als Gegenleistung für seine Tätigkeit als dessen Mitarbeiter erhalten.

Rainers Lebensgefährtin Hannelore Ditz jedoch deklarierte die Werke als Fälschungen. Ihre Beweggründe sind unklar, wenn es auch Spekulationen darüber gibt. Die Arbeiten zeigen nämlich durchaus erotische Motive, dargestellt von zwei jungen Kunsthistorikerinnen, mit denen Rainer im Rahmen eines Projekts zusammenarbeitete.

Im anschließenden Expertengespräch ging es um Authentizität von Kunstwerken bzw darum, ob ein Künstler sein eigenes Werk für falsch erklären dürfe. Kurz gesagt: Nein. Nach dem Urheberrechtsgesetz bleibt der, der ein Werk geschaffen hat, dessen Urheber. Egal, wie er später dazu stehen mag.

Und mehr noch: Wer also seine Urheberschaft leugnet, obwohl er das Werk geschaffen hat, kann dadurch Schaden bei Dritten hervorrufen. Der Urheber hat somit die Pflicht, zu den Tatsachen zu stehen.

Angesprochen wurde aus das Themengebiet der erlaubten Vervielfältigung von Kunstwerken. Nicht jeder weiß, dass nach einer OGH Entscheidung Sammler keinen Anspruch darauf haben, dass angegebene Auflagenzahlen eingehalten werden.

Presse

ORF

Kulturmontag

ORF

Seitenblicke

Ö1

Gedanken

Otto Hans Ressler – Die Kunst und ihr Markt
Zwischen Hochgefühl und Schattenseiten. Der Kunstexperte und Auktionator Otto Hans Ressler über die Kunst und ihren Markt
24. Juli 2022 | 09:05 Uhr

Otto Hans Ressler zählt zu den renommiertesten Kunstexperten des Landes. Neben seiner Tätigkeit als Auktionator verfasste Ressler bereits zahlreiche Erzählungen und Sachbücher zum Thema Kunst. Zuletzt erschien seine Publikation „Dort endet unsere Kunst“. Otto Hans Ressler macht sich Gedanken über das Wesen des Künstlers und des Sammlers, über Qualität und Authentizität von Werken und über die Dynamik und die Wirkmacht des Kunstmarktes.

Otto Hans Ressler wurde 1948 in Knittelfeld geboren. Von 1986 bis 1992 war er Direktor der Kunstabteilung im Wiener Dorotheum. Anschließend arbeitete er für das von ihm mitbegründete Auktionshaus „im Kinsky“. Seit 2015 führt der Kunstexperte mit der „Ressler Kunst Auktionen GmbH“ sein eigenes Unternehmen. Im Mai 2021 erzielte ein frühes Gemälde von Günter Brus in seinem Auktionshaus die beachtliche Summe von 931.000 Euro. 2015 wurde Otto Hans Ressler von der IG Galerien als Kunstmediator ausgezeichnet.

Ö1-Beitrag

Playlist

Komponist/Komponistin: Don McLean
Titel: Vincent/instr.
Solist/Solistin: Chet Atkins /Gitarre
Länge: 02:04 min
Label: Columbia 4746282

 

Komponist/Komponistin: Marc Olivier Dupin
Titel: Museum
Länge: 02:34 min
Label: Cezame CEZ 4026

 

Komponist/Komponistin: Peter, Bjorn and John
Titel: BLUE PERIOD PICASSO
Ausführende: Bjorn and John Peter
Länge: 02:32 min
Label: Wichita Recordings

 

Komponist/Komponistin: Godley
Komponist/Komponistin: Creme
Titel: ART FOR ART’S SAKE
Ausführende: 10 CC
Länge: 02:00 min
Label: Polygram 534612

 

Komponist/Komponistin: Deal
Titel: WHEN I WAS A PAINTER
Ausführende: Breeders
Länge: 01:31 min
Label: Rough Trade 1381

 

Komponist/Komponistin: Alain Jomy
Titel: Surralism exhibition
Länge: 01:21 min
Label: M C T 574

Komponist/Komponistin: Mani Matter
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Mani Matter
Titel: Kuah am Waldrand
Solist/Solistin: Gerhard Ruiss /Gesang
Länge: 02:33 min
Label: Extraplatte CD 188

 

Komponist/Komponistin: David Bowie
Titel: Andy Warhol (ChangesNowBowie Version)
Solist/Solistin: David Bowie /Gesang m.Begl.
Länge: 02:35 min
Label: Parlophone Label Group 0190295332341

 

Komponist/Komponistin: Don McLean
Titel: Vincent
Solist/Solistin: Don McLean /Gesang m.Begl.
Länge: 02:22 min
Label: Universal 9809144 (2 CD)

 

Komponist/Komponistin: Paul McCartney/geb.1942
Komponist/Komponistin: Linda McCartney/1941 – 1998
Komponist/Komponistin: Denny Laine/geb.1944
Titel: Picasso’s last words (Drink to me)
Ausführende: Paul McCartney
Ausführende: Paul McCartney and Wings /Gesang m.Begl.
Länge: 02:00 min
Label: Parlophone CDP 7460552

 

Komponist/Komponistin: Richard Robbins
Vorlage: Diane Johnson
Titel: Auction house/instr.
Leitung: Richard Robbins
Orchester: Filmorchester
Länge: 02:05 min
Label: Grandstand Entertainment/Sony 5136059

Print- und Onlinemedien

Werkgenese

Paul Gauguin

Frau, die eine Frucht hält; Wohin gehst du?
(Ausschnitt) Öl auf Leinwand, 1883

Eremitage, Sankt Petersburg

Gustav Klimt

Zwei auf dem Rücken liegende Akte
Roter Farbstift, um 1906, Nachlassstempel
Neue Galerie im Universalmuseum Joanneum, Graz

Egon Schiele

Zwei einander umarmende Mädchenakte Kohle auf Papier,
signiert und datiert 1918 Nr. 2202 im Werkverzeichnis von Jane Kallir

Kunsthistorische Betrachtungsweise

MARLENE ELVIRA STEINZ
DER TENERIFFA-ZYKLUS

Zur kunsthistorischen Einordnung der drei Serien aus dem Teneriffa-Zyklus:
Alte Meister, Schiele/Klimt, Bondage aus den Jahren 2010-2014.

Für Arnulf Rainer, den Doyen der österreichischen Kunstszene, in seinem ureigenen Gebiet der Übermalungen1 einen angemessenen Text zu verfassen, der sich von jenen in den bereits erschienen ca. 500 Monografien abhebt, ist keine einfache Aufgabe. Vor allem nicht, wenn er sich auf ein paar Seiten beschränken soll. Allerdings ist es auch ein weiterer Beweis der schier unbändigen Schaffenskraft und schöpferischen Aktivität von diesem – mit allem Respekt – Urgestein der österreichischen Künstlerschaft, der sich stetig von innerer Unruhe und Neugierde angetrieben fühlt, zweifelnd, unzufrieden, kritisch und ironisch humorvoll zugleich, seine mannigfaltigsten Werkserien zu erweitern.

1 Arnulf Rainers früheste explizite Auseinandersetzung mit dem Thema der Übermalung stammt aus 1969 und galt Egon Schiele, jenem österreichischen Künstler, der am intensivsten den eigenen Körper, aber auch den anderer thematisierte und exponierte. Gehäuft findet sich diese Arbeit in den Jahren zwischen 1975 und 1980. (siehe: Monika Leisch-Kiesl, Verbergen und Entdecken, Arnulf Rainer im Diskurs von Moderne und Postmoderne, S. 90. Weiters: Vgl. Rainer, Hundert bildnerische Serien, in: Kunstforum International 26, 1978, o.S.) Und in diesen Serien widmet sich Rainer wieder erneut Egon Schieles Mädchen- und Frauenakten, mit teils noch unveröffentlichten Originalen als seinen Vorlagen.

Als Kunsthistorikerin nach der Wiener Schule ausgebildet, geprägt im gleichen Kulturkreis wie Rainer, historisch vielseitig interessiert und ständig auf Spurensuche, die Gegenwart durch die Vergangenheit besser zu verstehen, kann ich im Werk Arnulf Rainers die abendländische kulturelle Herkunft, die uns Europäer miteinander verbindet –

© Rene Rietmeyer / GAA / ECC

im Denken wie im Handeln, im Sichtbaren wie im Unsichtbaren, in den Wünschen und Geheimnissen, im Sehnen wie im Träumen –nachvollziehen. Aber beginnen wir am Anfang.

„Im Anfang war das Wort und in ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen.” (Joh1,1-4) Bei Arnulf Rainer ist es die Verschränkung der Farben, die das Licht auf das Darunterliegende ermöglicht und herausstreicht. In seiner Farbwahl von unterschiedlichen Schwarztönen und Intensitäten bis zu weißen Flächen findet sich jedes nur erdenkliche Farbspektrum, um jeweils zur bestmöglichen Charakterfindung der übermalten Vorlage eingesetzt zu werden. Das Bild spricht zu Rainer, darum geht es im wahrsten Sinne. „Indem man sich freimacht, erwacht es. (sic das Bild). Es wahrnehmen heißt, sich ihm anschließen, ohne ‚wozu’ und ‚damit’. Es wahrnehmen heißt, es als das Einzige zu erkennen, aus dem alles kommt, zu dem alles führt.”2

2 Katalog Rainer, Retrospektive, Otto Breicha (Hrsg.), Berlin 1980/81, S. 15.

Die Sprache des Bildes, seiner Vorlage, sei es eine Fotografie, ein Gemälde oder eine Buchseite, ist ausschlaggebend für die künstlerische Stimulierung des Malers. Nun spielt es auch eine Rolle, wie diese Vorlagen hergestellt wurden, ob es sich um eine Übernahme oder Eigeninitiative handelt. In unserem vorliegenden besonderen Fall der drei zu besprechenden Werkserien betrifft es eben genau diese Selbstgestaltung, diese Eigenregie an der Herstellung. Weniger am Computer mittels Photoshop, dabei unterstützte Rene Rietmeyer als künstlerischer Assistent und Fotograf das Projekt. Die Regie führte allerdings Arnulf Rainer für die jeweiligen Inszenierungen der betreffenden Werkserien selbst. Sie entstanden in seinem Atelier in Teneriffa zwischen 2010 und 2014. Die weiblichen Modelle kannten einander und konnten auf Anweisungen Rainers die Stellungen, Verrenkungen und erotischen Posen einnehmen, ganz wie gewünscht. Je wilder, umso besser nach Beobachtungen.

Doch alles begann in den Jahren 1953/54, wo Rainer seine erste Phase von „zugemalten“ Bildern entwickelte, die als „Bedeckung“ charakterisiert wurden. Gleichzeitig entstanden erste Fotoposen des Künstlers, die teilweise übermalt wurden. Hier zeigte sich schon ansatzweise das Erproben des Körpersprachlichen, ein bis heute wiederkehrender Komplex, der im Kontext künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten, sogenannter „Spracherweiterungen“, zu sehen sind.3

3 Monika Leisch-Kiesl, Verbergen und Entdecken, Arnulf Rainer im Diskurs von Moderne und Postmoderne, 1996, S.29

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Weibliche Körpersprache

Arnulf Rainer interessiert, das Pouvoir menschlichen Ausdrucksvermögens nach allen Richtungen auszuloten. Dabei denkt man an seine bekannten Body Poses oder Face Farces. In Bezug auf die Körpersprache der Frau und damit auch der Sexualität kommt allerdings eine eigene Bedeutung zu. 1967 bemalt er erstmalig den Körper einer Frau, was in der Folgezeit zwischen 1973 bis1975 zu einer Serie weiter ausgearbeitet wurde, zwischen 1975 und 1976 entstand die Serie der Schlangenfrauen, 1977 die der Frauenposen, der Lovers sowie der lesbischen Frauenliebe.4

4 Katalog Rainer und die Frauen, Galerie Thoman, 2013

Es geht ihm dabei darum, historisch kulturelle Bedingtheiten anzuzeigen, bestehende Begrenzungen aufzubrechen und ein Mehr an Möglichkeiten wahrzunehmen. So auch auf die diversen Vorlieben unterschiedlicher Kulturen und Epochen beim Liebesspiel hinzuweisen.5  Die Frauen werden dabei häufig in Extrempositionen dirigiert. „Durch meine Arbeit wusste ich aber allzu gut, dass es keine Körperhaltungen gibt, die nicht auch bewusst oder unbewusst Werbe-, Expressions-, Kommunikationsformen sind”, erklärte Rainer zur Serie Verrenkte Frauen.6

5 Fendi-Serie des Biedermeiers bis hin zu japanischem Bondage, dem Shibari.

6 Arnulf Rainer, Verrenkte Frauen – Eine Körpersprachenserie, 1978, in: Katalog Rainer, Wien 1979

Rainer bemerkte einmal, „dass Gesichtsausdrücke und Körperhaltungen als Formen menschlicher Kommunikation älter seien als das gesprochene Wort. Für seine Begriffe sind sie komplexer und aussagekräftiger als die Sprache. Sie sind impulsiv, instinktiv und emotional. Sprache ist formalisiert – genau wie ein Kunststil nach einer gewissen Zeit dazu neigt, formalisiert zu werden. Auf ihre Weise spiegeln Körper und Gesicht die Emotionen unmissverständlich und genau wider.”7

7 Rudi H. Fuchs in: Arnulf Rainer, Albertina, 2015, S.162

Mangels einer zeitaktuellen Aussage zu den drei hier vorgestellten Werkserien, will ich auf ein frühes Zitat von Arnulf Rainer in Bezug auf die Arbeit mit Frauenposen hinweisen.

„Diese Stellungen sind sicher auch Symbole für erotische Verschlingungsfähigkeiten, diese Verwindungskokeketterien schlummern wohl in jeder Dame, genauso wie Herren begabt sind, in den verschiedensten Kraft- und Energieprotzformen zu balzen. … Die Fotos berührten mich so sehr, dass ich in verschiedenen grafischen Korrekturen eingriff und versuchte, durch Formänderung und Farbgebung diese eigenartigen Darbietungen zum Blühen zu bringen. Ich wollte auch ihre verlegene, eher ins Lächerliche gehende Überanstrengung kaschieren, … Was aber auf immer seitdem mein Werk verändert hat, war der Schritt, nicht mich selbst, sondern eine Partnerattrappe als Ausgangsmotiv für die Bildgestaltung zu nehmen.”8

8 Hirndrang Rainer, Otto Breicha (Hrsg.), 1980, S.142-145

Nach Michael Scholz-Hänsel habe „Rainer beim Begriff ‚Frauensprache‘ offensichtlich nicht die alltägliche Situation im Sinn, sondern mögliche Körperäußerungen im befreienden Zustand der Sexualität. In Begriffen wie ‚Partnerattrappe‘ und ‚Körperpose‘ relativiert der Künstler schließlich selbst eine den ‚Verwindungskoketterien‚ zugeschriebenen natürlichen Charakter und weist letztlich auf die eigene männliche Fantasie als Wurzel einer nur gewünschten Frauensprache. Dass es ‚Damen‚ sind, die hier in wenig gesellschaftsfähigen Rollen erscheinen, lässt uns für den Titel die gleiche ironische Distanz vermuten, die schon in den Bildbenennungen zum Ausdruck kam. … Urteilte man nach den Kriterien Gesichtsausdruck, Pose, Accessoires und Situation, gehörten Arnulf Rainers Vorlagen unzweifelhaft in den Bereich des Unzüchtigen. Noch unter den Überarbeitungen sprechen die geöffneten Münder, die offerierten Schamhaare, die Bettlaken und Stöckelschuhe sowie die fast überall mitzudenkenden Partner eine deutliche Sprache. Doch gleichzeitig schafft das Alter der Fotos, wie es in den Gesten, Haarfrisuren und Raumdetails, aber auch im Materialverschleiß zum Ausdruck kommt, eine Identifikationsbarriere.”9

9 Michael Scholz-Hänsel, in: Arnulf Rainer, Abgrundtiefe- Perspektiefe, Retrospektive 1947-1997, Hrsg. Carl Aigner, Johannes Gachnang und Helmut Zambo, Wien-München, 1988

© Rene Rietmeyer / GAA / ECC

Interessant ist auch ein Zitat von Maria Lassnig aus 1969. Sie sagt: „Rainer war 1949 der erste Hippie in Österreich. Es imponierte mir, dass er sich nie wusch und die Haare zu einem weiten Gestrüpp wachsen ließ, das so gut in seine Zeichnungen passte. Dann schor er sich wieder einen Sträflingsglatzkopf zurecht, auf dem kleine Haarinseln bewusst verteilt waren, welche aus sehr gut zu seinen Zeichnungen passten, und ging mit Spazierstock und Männerhut als lebende Freudlektüre in Klagenfurt spazieren. Die strangulierten und vergrabenen Weibspersonen auf den Zeichnungen, die Baumstümpfe und der Spazierstock waren so sehr vitalfreudianischen Ursprungs, dass sie ihre Wirkung besonders auch auf Weibspersonen nicht verfehlten.”10

10 Maria Lassnig, in: Arnulf Rainer, Abgrundtiefe- Perspektiefe, Retrospektive 1947-1997, Hrsg. Carl Aigner, Johannes Gachnang und Helmut Zambo, Wien-München, 1988

Bedenkt man die Zeitspanne ausgehend von den späten 1960er-Jahren bis 2010 – ein halbes Jahrhundert – in dem sich Rainer zwischenzeitlich mit vielfältigsten Serien beschäftigte, um sich dann von 2010 bis 2014 diesen Vorlagen der Frauenposen in einer einzigartigen Weise widmete, nämlich in der eines Regisseurs und Gestalters der Szenerie, um alles in seinen Vorstellungen bis dahin Altbekannte und Gewöhnliche völlig neu auszudrücken. Und mit größter Wahrscheinlichkeit laut Insiderstimmen arbeitete Rainer in den vergangenen acht Jahren immer wieder an diesen Vorlagen. Was für die ausgesprochen stimulierende Qualität dieser Zusammenarbeit spricht.

Er findet lange danach noch immer energetisch Zugang zu dieser Werkphase. Wie bedeutungsvoll.

Arnulf Rainer tritt also als Autor der Fotoséancen auf, er legte ihnen einen konzeptionellen Ansatz zugrunde und führte sie mit den Modellen nach seinen Vorstellungen aus. Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass Rainer weder einen feministisch-gesellschaftspolitischen noch einen medienkritischen Ansatz verfolgen möchte. Worum geht es ihm dann? Eine Frage, die jeder Betrachter und jede Betrachterin für sich beantworten kann. Ihm ist eben wichtig, dass nicht zu viel interpretiert wird. Seine Meinung über Kunstkritiker und deren Interpretationsversuche ist in zahlreichen Videos und Interviews dokumentiert. Und trotzdem wage ich einen Versuch.

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Beteiligte und Output

Das hier besprochene Projekt mit den beiden niederländischen Kunsthistorikerinnen und Kuratorinnen, Karlyn De Jongh und Sarah Gold, die ihm als Modelle dienten, sollte etwas ganz Besonderes werden. Für die Schiele- und Klimt-Serien wurden auch weitere weibliche Modelle beauftragt, allerdings die Bondage-Serie dürfen die beiden Damen als Protagonistinnen für sich beanspruchen.

In der gemeinsamen über vier Jahre hinweg dauernden Arbeit wurden laut Aussagen der Beteiligten tausende Fotovorlagen entwickelt, die Rainer in unterschiedlichen Formaten überarbeitete. Eine Bildvorlage, die ihn ansprach, wurde in der geforderten Größe reproduziert und von ihm übermalt. So entstanden tausende Werke begehrlicher Erotik und Sinnlichkeit, die im Atelier Rainer weiterhin unter Verschluss sind.

Ein früher grafischer Teil der gemeinsamen Arbeit wurde vom ECC (The European Cultural Centre) und dessen Gründer Rene Rietmeyer in den Kunstmarkt eingeführt, der als Leinenkassette zu erwerben war.11 Die hier beschriebenen Werke in malerischer Manier sind momentan die einzigen, die sich im Privateigentum der Sammlerin befinden. Alle weiteren Arbeiten werden noch vom Atelier Rainer zurückgehalten.

11 Unfinished into Death

Die kunsthistorische Expertise zu diesen Arbeiten ist ein Zeugnis auffallender Qualität. Einerseits in der meisterhaften und expressiven Ausführung, in Hinblick der technischen Innovation und Neuheit im Werkschaffen Rainers im fortgeschrittenen Alter von über 80 Jahren und nicht zuletzt im Sinne der Spannung und Spiegelung der Gesellschaft und Kultur, die die Betrachtung und Besprechung der Arbeiten mit sich bringt.

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Kunsthistorische Einordnung

In Bezug auf die Eingliederung dieser betreffenden drei Werkserien in Rainers Oeuvre soll natürlich das Gesamtwerk im Überblick bleiben, jedoch hinsichtlich der Themengruppen diese jene spezifischen zum Vergleich herangezogen werden. Dabei handelt es sich um die Gruppe der Alten Meister, die Gruppe von Schiele und Klimt und jene Gruppe der Bondage Vorlagen, die auf Rainers Verfügung hin erst nach seinem Ableben öffentlich zugänglich sein sollen.

Dafür müssen Vergleiche mit ähnlichen thematischen Werkserien aus Rainers bisherigem Schaffen getroffen werden. Unter verschiedenen Kriterien der genauen Begutachtung von Experten und unter Berücksichtigung des gesamten Herstellungsprozesses kann im Falle der hier besprochenen Serien festgestellt werden, dass es sich bis dato um außergewöhnlich expressive, malerisch und zeichnerisch höchst komplexe Überarbeitungen handelt, die einen Zenit in Rainers Schaffen darstellen und somit zu den absolut pikanten Meisterstücken des Künstlers zählen. Im Folgenden wird näher darauf eingegangen.

Wie wird das Werk motivisch eingestuft? Trifft es Pornografie oder ist es ein Zeitzeugnis einer demaskierten Welt, die vor nichts mehr zurückschreckt? In der luxuriösen Genderdebatte sich selbst verlierend, sich die alten tradierten Werte der Höflichkeit und des Charmes verleidend, die Spracherfassung baroquesk erschwerend und desto lauter, schriller, extremer das Erscheinungsbild ist, desto besser sollte es sein?

Da kann man sich einerseits zurücknehmen und in Kontemplation verfallen oder darauf auf eine gewisse Art reagieren.

Arnulf Rainer hat sein Leben lang gezeigt, dass er bestens informiert war, sei es über den Kunstbetrieb, die politischen Vorgänge in der Welt, ob aus historischer oder gegenwärtiger Sicht. Er ist ein sehr wacher, kritischer Zeitgeist. Rainer ist ein Mensch mit großem Empfindungs- und Erfahrungsschatz. Und er hat die kreative Gabe, diesen Blick des Weltgeschehens, des kulturellen Hintergrundes und der Vielfalt der Erscheinungsbilder emotional spürbar zu übermitteln. Niemand bleibt unbewegt bei der Betrachtung seiner Werke.

Das ist es doch, was der Künstler letztendlich will. Kein Zuviel an Interpretation, am besten gar keine Versuchsmanöver an intellektuellem Gerede über das Wie und Warum, sondern einfach Schauen und Staunen.

Das Werk betrachten und die sich im Inneren hochsteigenden Regungen wahrnehmen, vielleicht sind es angenehme, vielleicht angespannte Emotionen. Jedenfalls tut sich etwas und darum geht es. Der Künstler hat gewonnen. Und wir hoffen, dass noch weitere hervorragende und so bedeutende Werke aus dem Teneriffa-Zyklus auf den Kunstmarkt kommen. Nicht zu viel auf einmal, versteht sich.

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Historisch-kultureller Background und Obszönität

Der historisch-kulturelle Hintergrund von Arnulf Rainer findet sich im Spezifikum der österreichischen Geschichte ausgedrückt in der steten Ambivalenz zwischen Widersprüchlichkeit und Doppelbödigkeit. Barock und Katholizismus, „therapeutischer Nihilismus” und Ästhetizismus als Überlebenskunst.12 Die Gesellschaft der Negativität, wie Rainer sie auch stets pflegte, weicht heute allerdings einer Positivgesellschaft, in der sich zunächst die Transparenzgesellschaft manifestiert.

12 Monika Leisch-Kiesl, Verbergen und Entdecken, Arnulf Rainer im Diskurs von Moderne und Postmoderne, 1996, S. 105

„Transparent werden die Bilder, wenn sie, von jeder Dramaturgie, Choreografie und Szenografie, von jeder hermeneutischen Tiefe, ja vom Sinn befreit, pornografisch werden. Pornografie ist der unmittelbare Kontakt zwischen Bild und Auge.”13  Nach dieser Beschreibung des koreanischen Philosophen Byung-Chul Han fallen die hier besprochenen Werke nicht direkt unter Pornografie.

13 Byung-Chul Han, Transparenzgesellschaft, Berlin 2012/2017, S. 6

„Obszön ist die Hypervisibilität, der jede Negativität des Verborgenen, des Unzugänglichen und des Geheimnisses fehlt. Obszön ist der Zwang, alles der Kommunikation und Sichtbarkeit auszuliefern. Obszön ist die pornografische Zur-Schau-Stellung des Körpers und der Seele.”14

14 Byung-Chul Han, Transparenzgesellschaft, Berlin 2012/2017, S. 23

Unter diesem semantischen Deckmantel kann der Betrachter, die Betrachterin für sich klären, ob und wie die eigenen moralischen Grundwerte erschüttert werden. Was ist der wesentliche Unterschied zwischen Erotik und Pornografie im eigenen Denken?

Nach Roland Barthes entsteht durch das Studium der Werke, also dem „wissenden” Verweilen vor dem Kunstwerk das punctum. Es unterbricht das Kontinuum der Informationen. „Das punctum erschließe sich nur dem verweilenden, kontemplativen Betrachter.”15 Und das sollten wir anstreben, denn ohne punctum entleert sich alles zum spectaculum. Die Pornogesellschaft sei demnach eine Gesellschaft des spectaculums. Ein spectaculum im Atelier.

15 Byung-Chul Han, Transparenzgesellschaft, Berlin 2012/2017, S. 46; Roland Barthes, Die Lust am Text, Frankfurt am Main, 1982

„Obszön16 ist die Transparenz, die nichts verdeckt, verborgen hält und alles dem Blick ausliefert. Heute sind alle medialen Bilder mehr oder weniger pornografisch.”17 Doch Rainer schafft Kunst aus seinen Fotoséancen. Der Betrachter, die Betrachterin reagiert erregt oder befriedigt, jedenfalls ergriffen durch die fantastische Ausarbeitung seiner Liebeskunstabenteuer und in einer Weise betroffen.

16 „Obszön wird Sartre zufolge der Körper, wenn er auf die bloße Faktizität des Fleisches reduziert wird. Obszön ist der Körper ohne Referenz, der nicht gerichtet, nicht in Aktion oder in Situation ist. Obszön sind die Bewegungen des Körpers, die überzählig und überschüssig sind. Sartres Theorie der Obszönität lässt sich auf den Gesellschaftskörper, auf seine Prozesse und Bewegungen übertragen. Sie werden obszön, wenn sie jeder Narrativität, jeder Richtung, jeden Sinns entkleidet werden. Ihre Überzähligkeit und Überschüssigkeit äußern sich dann als Verfettung, Vermassung und Auswuchtung. Sie wuchern und wachsen ohne Ziel, ohne Form. Darin besteht ihre Obszönität. Obszön sind Hyperaktivität, Hyperproduktion und Hyperkommunikation, die sich über den Zweck hinaus beschleunigen. Obszön ist diese Hyperakzeleration, die nicht mehr wirklich bewegend ist und auch nichts zuwege bringt.”  Byung-Chul Han, Transparenzgesellschaft, Berlin 2017, S. 49

17 ebenda, S. 46

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Die Transparenzgesellschaft – Glück und Pornografie

„Intuition etwa transzendiert die verfügbaren Informationen und folgt ihrer eigenen Logik. Durch die wachsende, ja wuchernde Informationsmasse verkümmert heute das höhere Urteilsvermögen. Oft bewirkt ein Weniger an Wissen und Information ein Mehr. Die Negativität des Auslassens und des Vergessens wirkt nicht selten produktiv. Die Transparenzgesellschaft duldet weder Informations- noch Sehlücke. Sowohl das Denken als auch die Inspiration bedarf aber einer Leere. Das Wort Glück rührt im Übrigen von der Lücke her. Auf Mittelhochdeutsch heißt es noch „gelücke“. So wäre die Gesellschaft, die keine Negativität der Lücke mehr zuließe, eine Gesellschaft ohne Glück. Liebe ohne Sehlücke ist Pornografie. Und ohne Wissenslücke verkommt das Denken zum Rechnen.”18 Gute Kunst zu produzieren, ist eine Glückserfahrung, ein Rausch, der immer wieder erfahren werden möchte. Und diesem Prozess liefert sich Rainer tagtäglich aus, indem er so lange den Dialog mit den Dargestellten aufrechterhält, bis diese ihm zufrieden zuflüstern und die Kommunikation, somit auch die Übermalung abgeschlossen ist.

18 Byung-Chul Han, Transparenzgesellschaft, Berlin 2012/2017, S.11

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Bildbeschreibung

„Die Frauen sind in Rainers Frauenposen stets exponiert; doch einerseits in einer viel stärkeren Direktheit der Pose und fotografischen Präsentation, andererseits entzogen in der grafischen Irritation der Überarbeitung19 Diese scheint das gesamte erotische Spektrum durchzuspielen, von behutsam zärtlicher Berührung, tastendem Entlanggleiten, über krampfhaftes Eindringen, bis zu extremem Sadismus und pornografischer Exhibition. Stets jedoch bleibt eine ironisierende Perversität, fragende Irritation oder respektvolle Distanz. Er endet, bevor die Situation ausgeschöpft ist. Selbst im brutalen Zugriff, in nicht verhaltener perverser Lust, wird das Bild an dessen äußerste Grenze getrieben, wo es umbricht zur Frage.  (…)

19 Begriff der Überarbeitung: Bemühen um Ausdehnung des formalen Vokabulars und um eine Erweiterung der Möglichkeiten des Bildes. Überarbeitung als anthropologische Erforschung. Dieser Begriff, worin in gewissem Sinne Rainers gesamtes künstlerisches Schaffen zusammengefasst werden kann, ist nie rein psychologisierend zu verstehen, sondern betrifft den Menschen stets in seiner gesellschaftlich kulturellen Bedingtheit und medialen Vermitteltheit in allen nur möglichen Dimensionen. In: Monika Leisch-Kiesl, Verbergen und Entdecken, Arnulf Rainer im Diskurs von Modere und Postmoderne, Wien 1996, S. 66

Rainer lotet in den Bildern selbstverständlicher wie pornographischer Erotik menschliche Extremsituationen aus. Er stößt in verschiedenartige Posituren vor, ohne daraus ein Ganzes werden zu lassen. Rainer weist auf die extreme und mannigfaltige Bandbreite körperlicher und sexueller Expressivität hin. Rainers Welt wird widerspenstig.”20

20 Ebd. S. 138

© Rene Rietmeyer / GAA / ECC

In der Betrachtung der malerischen Intensität findet sich in der frühen Serie Frauensprache mit der Datierung 1977/1991 deutlich, wie lange die Bilder im Prozess der Bearbeitung geblieben sind und wie sich Rainers Emotionen über die Jahre hinweg ihnen gegenüber veränderten. Diese Bilder, die aus bereits vorhandenem Bildmaterial entstanden sind21, gehören zu den künstlerisch am stärksten überarbeiteten Werken und können zum Vergleich als relevant angesehen werden.

21 Der weibliche fotografische Akt war bis in die 1920er-Jahre vor allem dann in der Öffentlichkeit zugelassen, wenn es sich um Bildvorlagen für bildende Künstler – um sogenannte Akademien handelte, aber auch um Reproduktionen aus den Bereichen Tanz und Sport, um Abbildungen von Mitgliedern der Freikörperkultur, sowie von virtuosen Zirkusakrobatinnen wie Kontorsionistinnen. Rainer hat aus all diesen Bereichen, auch den pornografischen Darstellungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die ihm zugänglichen Vorlagen abfotografiert und dabei manchmal nur Ausschnitte der Originalfotografien verwendet. Siehe Peter Weiermair, in: Rainer und die Frauen, hrsg. Klaus Thoman, Köln 2013, S. 7

In der Gegenüberstellung gelten diese frühen Werke regelrecht als brav, weniger bieder aber viel dezenter. Doch ebenso waren sie für die Ära der 1970er-Jahre durchaus revolutionär! Die Arbeiten des Teneriffa-Zyklus übertreffen allerdings erneut diese vorangegangenen Serien in ihrer Produktion – hier nun Rainer als Regisseur – in der Szenografie sowie Komplexität. Es ist die Vielfalt der Bearbeitungsspuren, die übereinander gelegten Malschichten und Zeichenebenen. Die unterschiedlichen Pinselstärken, Wachsstifte, Ölkreiden und vor allem die Farben, die abgestimmt aufeinander und auf die darunterlegende Vorlage bestimmend, Rainer einflüstern, wie und wo er die Details hervorheben soll oder etwas verschwinden lassen muss. Unter diesen tausenden Arbeiten sind so herausragende Stücke dabei, die einen Rainer Kenner in Staunen versetzen. Einmal mehr beweist Arnulf Rainer in seinem lebenslangen, so bedeutendem Kunstschaffen, wie schöpferisch durchdrungen und vielseitig er ist. Das Spätwerk wurde damit gebührend begründet.22

22 Werner Spies schrieb 2006 in seiner Monografie über Pablo Picassos Spätwerk, es wäre ein Malen gegen die Zeit. Picassos enorme Produktivität in seinen letzten Jahren deutete Spies als panische Angst vor dem Tod. Vitalismus als Methode. Picasso stand das gesamte Spektrum stilistischer Ausdrucksformen zur Verfügung, das er sich im Laufe der Jahrzehnte angeeignet hatte. Ebenso gilt bei Arnulf Rainer, wer malt, lebt.

Im Gespräch mit Brigitte Schwaiger antwortete Rainer auf die Frage „Was gilt als pervers?” folgendermaßen: „Als pervers gilt, wo die natürlichen Bahnen dann sozusagen nicht mehr verlaufen können. Wenn so einer das gemacht hat wie Sie, dann macht das ja eine natürliche Sexualität nicht mehr möglich.”23

23 Brigitte Schwaiger, Arnulf Rainer Malstunde, 1980, S. 36

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Inspiration – Muse

„Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will.” (Jean-Jacques Rousseau)

Die Modelle arbeiteten gerne und mit großem Eifer für Arnulf Rainer und taten dies für die Kunst, wie sie im Interview mitteilten. Ursprünglich waren die antiken Musen in der griechischen Mythologie neun Quellnymphen, die von Göttervater Zeus mit Mnemosyne, der Göttin der Erinnerung gezeugt wurden. In der Kunstgeschichte treten immer wieder reale Personen in Erscheinung, die den Künstler, die Künstlerin durch ihre Ausstrahlung, Erotik oder einem geistreichen Austausch und deren Intelligenz – idealerweise alles in allem – inspirieren, beflügeln, mit neuem Lebensmut nähren und schöpferisch anspornen. Denken wir an Gabriele Picabia, die Frau von Francis Picabia, oder Alma Mahler-Werfel, Emilie Flöge oder Anaïs Nin, Gabriele Münter oder Camille Claudel, Lee Krasner oder Gala Éluard Dalí. Die Liste ist ebenso lang, wenn nicht länger als es Künstler gibt. Ein interessanter Gedanke, nicht wahr?

Was früher die „Muse” für den Künstler war, ist heute durch den Zugang zum Hochschulstudium einer Frau häufig die Kunsthistorikerin oder Kuratorin. Eine fachlich ausgebildete Frau, die den Dialog mit dem Künstler auf Augenhöhe führen kann.24 Der Eros bleibt am Feld. Und Arnulf Rainer übertrifft sich im Besonderen in dieser Serie Bondage im betagten Alter nochmal selbst!

Wie gewohnt mit enormen Arbeitseinsatz hebt er Posen hervor oder verleiht bestimmten Details den nötigen Nachdruck. Kratzt, wischt, malt, schlägt und zeichnet. Überarbeitet, bis die Arbeiten vorläufig vollendet sind. Betrachtet man die Werke genau, so lässt sich die geballte Energie und hohe Konzentration seines Schaffens, wie das Begehren darin lesen.

24 Gendergerecht gilt das natürlich auch im umgekehrten Sinne! Die Künstlerin und ihre männliche Muse.

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Vorlagen, Arbeitsweise und Prozedere

Betrachten wir die Werkserie Klimt-Schiele etwas näher, so weiß man aus der Kunstgeschichte und vielen Monografien zu Arnulf Rainer, dass deren Bilder ein Teil von Rainers künstlerischem Erbe sind, die als Muster oder Vorbild dienen. Sie sind Ausgangspunkte, Inspirationsquellen, die ihm bestimmte Richtungen und Vorgehensweisen aufzeigen, schreibt Rudi H. Fuchs. Und weiters erklärt er, dass es für Arnulf Rainer auch Ideale gibt, die er aufspürt und bewusst wählt. „Ideale, die außerhalb seines unmittelbaren künstlerischen und praktischen Erfahrungsbereich liegen und aus denen er trotzdem Inspiration und Überzeugung bezieht. Solche Ideale befreien den Künstler von den Mustern und Vorbildern seiner Umgebung. Das Ideal ist letzten Endes ausschlaggebend für seine eigentliche künstlerische Kraft und Qualität.”25

25 Rudi H. Fuchs in: Arnulf Rainer, Albertina, 2015, S.160

Zu einigen Idealen bzw. meisterlichen Vorlagen, die in den drei Teneriffa-Serien vorkommen, möchte ich hier explizit hinweisen. Eine Vorlage war z. B. der Sitzende weibliche Akt mit abgespreiztem rechtem Arm von 1910, die Skizze für das Pannaux in der Jagdausstellung. Dieses Werk bedeutet einen Wendepunkt im Schaffen Schieles. Hier lässt er den Jugendstil hinter sich und entwickelt seinen expressionistischen Stil. Ein weiteres Vorlagenbeispiel ist der Akt mit grünem Turban aus 1914. Dann lässt sich Mutter mit Kind von 1910, der Kauernde Mädchenakt, die Wange auf das rechte Knie gelehnt von 1917, sowie Zwei auf dem Rücken liegende Akte von 1905/06 klar wiedererkennen. Eine bekannte Galerie für Schiele und Klimt in Wien, Wienerroither & Kohlbacher, hat auch bisher unveröffentlichte Zeichnungen geliefert, die als Vorlagen herangezogen wurden.

Der Fotograf und im weiteren Sinne künstlerische Assistent während dieses Projekts, Rene Rietmeyer, montierte die Köpfe der Modelle mittels Photoshop in die Vorlagen hinein. Dazu werden in diesem Buch im Anschluss einige Beispiele angeführt.

© Rene Rietmeyer / GAA / ECC

„Indem er historische Repräsentationsmuster durch nachfolgende interpretiert, die ebenso auf den konventionellen Metaphern von Weiblichkeit und Männlichkeit basieren, schreibt er die Semantisierung von Weiblichkeit als Geschlecht erneut in seine eigene Bildsprache ein – das Begehren stellt dabei zentrales Thema und rhetorische Strategie dar.”26

26 Andrea Madesta in: Rainer und die Frauen, hrsg. Klaus Thoman, Köln 2013, S. 77

Lassen wir nun dazu Rainer selbst in einem Vorwort zur Ausstellung Nackt durch die Jahrhunderte von 2003 zu Wort kommen: „Schon in früher Jugend passierte es mir, dass mich Frauen, vor allem die nackten Damen auf Gemälden oder auch Skulpturen, sehr freundlich ansahen, oder dass sie sich neckisch scherzend vor mir versteckten. Manche strahlten oder lächelten still vor sich hin. Da sie dabei wiederholt kurze Blicke auf mich warfen, wusste ich, dass ich ihre Aufmerksamkeit erregte, dass sie Kontakt zu mir suchten. Das bewog mich, Frauenmaler zu werden. (…) Modellen wird meist erst durch den Maler oder Fotografen Grazie und Schwingung eingehaucht. Nackte Damen beeindruckten mich nur, wenn sie bereits durch andere Künstler gewandelt, in Magie getaucht, in erotische Grazilität verwandelt worden waren. Nur dann blickten und blinzelten sie mir zu, gaben ihre Performance speziell für mich. Ja, ich bildete mir ein, dass sie sich einstmals für mich malen ließen. (…) Den Frauen ging es dabei nicht um ihre öffentliche Entblößung, sondern sie wollten von mir, quasi durch Übermalungen bedeckt oder verwandelt werden. Sie wollten durch mich verschleiert, ins Ungewisse verzaubert werden. Nicht nur ihr Körper, sondern auch ihre Umgebung, ihr ganzer Auftritt sollte gehüllt, unklar werden. (…)

Was wünschten sich die Bildfrauen aber eigentlich genau? Sie gaben mir verschiedene Zeichen. Meistens durch die Augen- oder Fingersprache. Ich musste davon ausgehen, dass sie meine Übermalformen kannten, und neugierig waren was ich mit ihnen anstellen würde. Anfangs waren es natürlich nur zarte Berührungen mit Pinsel und Stift. Durch ihre begeisterte Zustimmung konnte ich sehen, dass sie nach mehr verlangten. Einige wollten schön versteckt, andere in Farbschlieren ganz oder halb eingehüllt werden. Durch ihre Körperdarbietung forderten sie Linierungen, Akzente, Mittelachse, Verwischungen, oder Drapierungen.

Die neuen Möglichkeiten faszinierten sie sehr, sie zögerten nicht, mir Busen, Hintern oder ihren Schoß darzubieten. Zu meiner Verwunderung konnten sie ihre Brüste vergrößern, die Lippen anschwellen und den Hintern aufblähen oder gar ihre Schoßfalte mit deutlich linearen Akzentuierungen versehen. Wichtig war ihnen aber nicht das bloße Detail, sondern der gesamte grafische Rhythmus ihrer Physis. (…)

Ich bekam das Gefühl nicht los, dass sie ihren einmaligen Schöpfern (oder Interpreten) auch einmal untreu, ganz verwandelt, in neuen Spielarten des Auftretens belebt werden wollten. Diese Emanzipation konnten sie nicht durch Museumsleute, sondern nur durch einen Künstlerkumpan erlangen. So ist es nicht verwunderlich, dass sich manche wiederholt bei mir meldeten, sich abermals eine neue Metamorphose wünschten, und sich dann bei mir für ihr neues Aussehen bedankten. (…)

Ernsthafte Betrachter erfahren sowieso noch eine Menge mehr, sobald die Bilder bei ihnen leben, und sie mit ihnen in kleinen, intimen Räumen leise Gespräche führen können, Details erörtern. Mit einem Wort, sie lieben nur den ungestörten Kontakt, die intime Atmosphäre. (…) Auch vermeiden sie längere „Diskussionen”, „Diskurse” über Vergangenes oder das Eigentümliche ihrer Metamorphosen. Sie können dann ungefragt zu ihrem Neuschöpfer ausreißen, wo sie sich sehr wohl fühlen, da er ihnen immer wieder neue Verwandlungsvorschläge machen kann, sofern sie seine Fantasie mitentzünden.

Ich verriet den Kollegen, dass ich von den Bedeckten oder Halbnackten vor allem deswegen auserwählt worden war, weil ich Talent zur sanften, unaggressiven Einfühlung hatte, immer zuerst Kommunikation zu ihnen aufnahm, ihre leisen Andeutungen, feinen Zeichen, die Wünsche in ihren Augen verstand. Nur so konnten sie neu erblühen, in Entrückung oder Verzückung fallen oder verzaubert entschlummern. (…) Oft erzählten sie (sic die Bilderfrauen) mir, wie sie sich über die Auratheorie Walter Benjamins lustig machten, führte doch der Weg über Rainers Atelier jederzeit zu einer neuen, anderen Aura bzw. einer Vielfalt wie sie dieser in seiner Fantasielosigkeit nicht geahnt hatte.”27

27 Arnulf Rainer, Nackt durch die Jahrhunderte, Galerie 422 Gmunden, Bibliothek der Provinz, 2003, S. 3-8

Auch das moderne Wetter hatte oft einen ungeheuren Einfluss auf diese Frauen und ihre Verkleidung schreibt Rainer weiter und nennt es die „meteorologische Umformung“. Dabei brachen Stürme und Gewitter aus, die seine Bildfiguren umwehen oder durch verschiedene Wettersimulationen vernebelt erscheinen lassen. Dass das moderne Wetter auch bei den Teneriffa-Serien einen Einfluss auf diese „Bilderfrauen“ und ihre „Verkleidung“ hatte, kann angenommen werden.

In seinem Vorwort zum Ausstellungskatalog Nackt durch die Jahrhunderte schreibt Rainer noch abschließend: „Aktfrauen der Moderne erlauben die neuen Richtlinien der Verwertungsgesellschaften nicht, bzw. nur gegen besonders hohe Inspirationsgebühren.”28 Und da hat er bis zum heutigen Tag recht behalten. Diese hier besprochene Causa zeigt auf, wie seine Arbeiten der Jahre 2010 bis 2014 zurückgehalten werden. Die Problematik mit dem Umgang der politisch-korrekten, feministischen, gendergerechten und dergleichen Bildmotive, ist außerdem von höchster Brisanz und wird es noch eine Weile bleiben.

28 ebenda, S. 11

Dieser Teil des Spätwerks von Arnulf Rainer steht jedenfalls vollends unter dem Vorzeichen einer herausragenden Souveränität.

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Material und Technik

Rainers Arbeit mit Fotografien besteht darin, dass er ihren möglichen Ausdrucksgehalt sichtbar macht oder umsetzt. Bis heute arbeitet Rainer in gleicher Weise mit seinen Fotovorlagen, er hebt hervor, intensiviert, verändert, karikiert, akzentuiert, verletzt und unterläuft die Motive mittels Ölkreide, Gouache, Wachsstift, Tusche, Minenstift, natürlich auch Acryl und Ölfarbe. Die Vorlage wird auf verschiedenen stärkeren Papieren (bis zu 300g) mittels Laser gedruckt. In diesem Fall handelt es sich um ca. 2500 unterschiedliche Vorlagen, die in bis zu fünf verschiedenen Formaten ausgefertigt wurden, darunter sind A2, A3, A3+, A4 und ca. A5. Rainer arbeitete zumeist an dreißig bis vierzig Blättern parallel, von früh morgens bis spät abends, je nach seinen Kräften. Dabei entstanden in den Folgejahren tausende Werke mit diesen Vorlagen, vielleicht sogar bis zum heutigen Tag.

In seiner Arbeitswut packt Rainer zu, kratzt, schlägt auf die Arbeiten ein, arbeitet mal schnell oder langsam, mal zärtlich bis heftig oder ekstatisch, liebend oder wütend, wie es das Bild und in unserem Fall, die fiktiven Kommunikationspartnerinnen eben brauchen. Er ist im ständigen Dialog mit dem Dargestellten. Vielleicht schließt er auch hin und wieder seine Augen dabei und malt oder zeichnet automatisch oder blind, ganz im Hineinspüren der erotischen Vorlagen. Stichwort: die „blinde Geliebte”. Rainers geäußerter Wunsch nach einer blinden Geliebten. Das ist doch die gelungene Kontemplation, die er seit Beginn in seiner Kunst sucht und wiederfindet.

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Der ständige Zweifel als Begleiter

Ein kurzer Einschub der die Systematik des Zweifels in seinen Arbeiten näher zu erklären versucht, soll zeigen, warum Rainer sich immer wieder aufs Neue und oft über viele Jahre hinweg – besonders eben bei den Arbeiten mit fotografischen Frauen-Vorlagen – ihnen erneut widmet und sie erweitert bearbeitet, bis er sie als „fertig” erachtet.

Wenn seine Kommunikation mit dem Bild abgeschlossen ist. Wenn das Bild nicht mehr antwortet, wenn keine zu setzende Linie und kein Pinselstrich, kein Eingriff in seinen Fingern kitzelt.

Der deutsch-österreichische Kunsthistoriker Prof. Wieland Schmied wies in diesem Zusammenhang des Zweifels auf Rainers geistige Grundprägung in den frühen 1950er-Jahren hin.29 Dabei sind zwei Namen zu nennen, die für Rainer von äußerster Wichtigkeit wurden: Louis Chardon und Emil Cioran.

29 GegenwartEwigkeit, Spuren des Transzendenten in der Kunst unserer Zeit, (Hrsg.) Wieland Schmied, Jürgen Schilling, Berlin 1990, S. 45

© Rene Rietmeyer / GAA / ECC

Einerseits beschäftige ihn die Mystik des französischen Dominikaners Louis Chardon (1595–1651) und andererseits die geistige Radikalität des französisch-rumänischen Philosophen Emil M. Cioran, der 1911 in Siebenbürgen geboren wurde und ab 1911 bis zu seinem Tod in Paris lebte. In diesem Zusammenhang beschreibt Wieland Schmied die Bearbeitung der bekannten Kreuze-Serie im gleichen Modus wie die vielfältigen nachfolgenden Serien. Daraus lässt sich schließen, dass Rainer sich in seiner persönlichen Grundhaltung und philosophisch-geistiger Prägung immer auf die gleiche Weise auf seine Arbeitsvorlagen einlässt, egal, ob es sich dabei um religiöse, kunsthistorische oder erotische Akte handelt. Als Betrachter/in erspüren wir „die Spannung zwischen Vorlage und künstlerischer Auseinandersetzung. Es sind Aggression und Ruhe Ablehnung und Akzeptanz, die durchschlagen; ein Attackieren, das bis ins Schlagen geht, ein zaghaftes Berühren, das Spuren von Liebkosungen zeigt. Die Arbeiten von Arnulf Rainer entstammen der Verlebendigung dieser existentiellen Gegensätze.”30

30 ebenda.

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Ein wahrhaftiger Künstlergeist bleibt es immer

Es gibt keine Trennung zwischen Beruf und Privat. Die Kunst bestimmt das Leben.

Ein Kollege aus dem Museumsbereich erzählte mir im Gespräch zu diesem Artikel, dass er bei zahlreichen Ausstellungseröffnungen Rainers Körperposen genau beobachtete und feststellen konnte, dass der Künstler dargestellte Posen von Meistern der Kunstgeschichte einnahm, wie z. B. von Rembrandt, wenn er bemerkte, dass er fotografiert wird.

Noch ein interessanter Aspekt betrifft die Signatur Rainers bei Autogrammen in seinen Katalogen. Der Künstler reagiert stets auf die verwendete Schriftart sowie deren Größe und überschreibt seinen Namen als „Überschrift”.31

31 Im Gespräch mit Markus Bless, Musik- und Medienkünstler, Schörfling/ Attersee.

Wenn Sie glücklicher Besitzer oder Besitzerin mehrerer signierter Kataloge sind, vergleichen Sie die Signaturen miteinander. Das ist typisch Rainer. Er reagiert auf alles künstlerisch höchst sensibel.

Die Signaturen auf den Bildern generell werden oft den Bildinhalten in Größe und Form angepasst. Es könnten sich auch zwei Signaturen finden, wenn das Bild auf zwei Möglichkeiten zu lesen ist, im Hoch- oder Querformat. Manche Signaturen wurden nur eine bestimmte Zeit verwendet, wie z. B. TRRR aus der Hundsgruppe-Phase. Es kann auch nur ein schwarzes A.R. auftreten oder nur ein simples R. je nach seinem Impuls. Dies weist teilweise auf Rainers emotionale Verbindung mit dem Bild hin. Und vielleicht ist es auch eine Taktik, um Kunstfälscher zu irritieren?

Otto Mauer definierte die Arbeit Rainers 1960/61 folgendermaßen: „Hunderte von Strich- und Pinsellagen bilden schwarze und farbige Vorhänge, die das überdecken, was unaussagbar ist: Er weiß, dass es das beste am Menschen ist. der ‚Fußstapfen Gottes‘, die ‚Ikone‘, die man nicht zu beschreiben, in Gestikulationen nicht auszudrücken vermag. Er strebt einer Ruhe zu, die er noch nicht erreicht hat, die aber schon auf uns ihre beruhigende Kraft ausübt. Er strebt der Gewissheit zu, dass die Vorhänge, hinter denen wir unsere Hoffnung verbergen, nicht nichts bedecken, sondern das Eigentliche, das zu jeder Zeit noch aussteht.”32

32 Arnulf Rainer, Abgrundtiefe- Perspektiefe, Retrospektive 1947-1997, Hrsg. Carl Aigner, Johannes Gachnang und Helmut Zambo, Wien-München, 1988

Mit diesen mystisch-transzendenten Worten will ich abschließend noch eine weitere wichtige Stimme eines großen Zeitgenossen Rainers wiedergeben, nämlich die von Hermann Nitsch, der kürzlich erst verstorben ist.

Er schrieb über Arnulf Rainer: „Die Faszination, die von Rainers Werk auf mich ausgeht, hat mich mein ganzes Leben begleitet und bestimmt, kaum hat mich ein anderer zeitgenössischer Künstler dermaßen beeindruckt. Ich gestehe offen, ich verdanke ihm als Maler sehr viel, ich habe vieles von ihm gelernt, Rainer war für mich immer das Maß des in dieser Disziplin Leistbaren. Er hat oft als übermächtige Figur, der ich nicht entfliehen konnte, meine eigene malerische Entwicklung begleitet. Ich weiß, dass ich ihn als Maler nicht übertreffen kann, lediglich durch das Gefüge meines Gesamtkunstwerkes des O.M. Theaters kann ich ähnlich Großes leisten. (…) Ich halte Rainer für einen der wesentlichsten Künstler unserer Gegenwart.”33

33 ebenda, S. 13, 21

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Schluss – summary

In Hochachtung vor dem großen und diversen Oeuvre von Arnulf Rainer in all seinen Verzweigungen, Tiefen und der Interpikturalität wage ich noch den Vergleich mit einer anderen künstlerischen Gattung, nämlich dem Tanz. Dabei sei der argentinische Tango angesprochen, der in seiner Komplexität das bewegte Leben schlechthin komprimiert ausdrücken kann. In Arnulf Rainers Bildern lässt sich die immense Vielschichtigkeit unserer menschlichen Begierden ausgedrückt erkennen, unserer Sehnsüchte und Wünsche. Geheimnisvoll und ganz klar treten sie uns mal mehr mal weniger verhüllt, verdeckt, verdunkelt oder erleuchtet entgegen. Die Bewegungen der Fotografierten werden im Still abgebildet und wir können in der Betrachtung ihren Tanz weiterdenken.

In den vorangegangenen Ausführungen habe ich versucht, alle Blickwinkel und Perspektiven, Informationen und Fakten anzuführen, die eine fundierte kunsthistorische Expertise zu diesen Werkserien ermöglichen. Nach Abschluss der vertiefenden Arbeit mit Rainers Werken lässt sich feststellen, dass aus kunsthistorischer Sicht diese hier vorgestellten drei Serien von 2010 bis 2014 aus Teneriffa die intensivste Rainersche Sprache in Bezug auf die weibliche Körpersprache seit den Frauenserien der 1970er-Jahre ausdrücken. Arnulf Rainers umfangreicher Malgestus bildet eine Sinnlichkeit und Leidenschaft ab, ein lebendiges dringendes Begehren, das spürbar wird und den/die BetrachterIn mitreißt. Innovativ im Sinne der bereits erwähnten Vorlagenproduktion sowie in farblichen, formalen, materialtechnischen und stilistischen Kriterien. Alles in allem sind diese drei Serien Alte Meister, Schiele und Klimt sowie Bondage neue alte Meister, mit der Tendenz zur Etablierung als Klassiker der Rainerschen Kunstgeschichte – absolute Höhepunkte im Spätwerk Arnulf Rainers und Zeugnisse höchster Inspiration!